Kafkas Process in der IGS Bretzenheim
Kein Eisen zu heiß, als dass die Theater-AG der IGS Bretzenheim nicht danach greifen würde, keine Interpretation zu kühn, als dass sie nicht gedacht würde. (Was passt besser in die Zeit als ein Autor, der die Frauen fürchtet und Frauen, die zum Fürchten sind.)
Was passiert, wenn Frauen, die sich nicht mehr fürchten wollen, das Stück eines Autors inszenieren, der sich vor Frauen fürchtet?
Richtig: dem Publikum könnte ein Licht aufgehen.
So geschehen in der Aula der IGS Bretzenheim bei der Aufführung von „Prozessin“ einer Adaption auf Kafkas „Process“, dem neuesten Projekt der Theater-AG.
Das Unerhörte fand auf einem Laufsteg statt. Ganz nah saßen die Zuschauer am Geschehen, ja beinahe im Geschehen. Keine Chance zum Wegsehen und Weghören.
Kafkas Geschichte des Josef K., die in ihrer Zeit betrachtet grotesk auf die Rezipienten gewirkt haben mag, wurde durch die Art der Inszenierung wie auch die Arbeit der jungen Schauspieler*innen jegliche Absurdität genommen.
Die Regie holt all die Statisten im Alltag des Angeklagten Josef K. aus ihrem Schattendasein ins Rampenlicht.
Alle Männer des Originals werden in der Adaption zu Frauenfiguren, die allerdings die ursprünglichen „männlichen“ Texte sprechen.
Mit derber Deutlichkeit eröffnen sie dem Zuschauer die verdeckten Übergriffigkeiten und Unverschämtheiten, die im Arbeitsalltag als Späßchen und Ironien abgetan werden.
Aber durch das Stilmittel der Geschlechterumkehr in ihrer zynischen Aggressivität fast Ekel erzeugten.
Die Inszenierung verlangte den Darstellern einen hohen Grad an Identifikationsleistung ab. Beachtlich die Intensität mit der die jungen Schauspieler ihren Rollen Authentizität verliehen. Das spricht für ernsthafte und engagierte Probenarbeit.
Ein Großteil der jungen Schauspieler gehört bereits seit längerem zur Theater-AG. Seinen ersten Bühnenauftritt hatte der Darsteller des Josef K., Mark Zappe, der starke Präsenz zeigte und mit großer Rollensicherheit beeindruckte.
Christiane Leonhardt