DDR hautnah: Eine Zeitzeugin berichtet.
27 Jahre nach der Vereinigung beider deutscher Staaten verblasst die Erinnerung an die 40-jährige SED-Herrschaft. Schülerinnen und Schüler, die die DDR nicht mehr aus eigener Anschauung kennen, haben Schwierigkeiten, sich das Leben in einer kommunistischen Diktatur vorzustellen. Das Gespräch mit politisch Verfolgten aus der DDR ist besonders für junge Menschen eine beeindruckende Erfahrung. Sie können dadurch das Leben in der SED-Diktatur unmittelbar nachvollziehen und begreifen den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur.
Birgit Schlicke (geb. 1969 in Görlitz) wuchs in der Nähe von Cottbus auf. Nach dem gestelltem Ausreiseantrag der Eltern erhielt sie Bildungsverbot, musste die Oberschule verlassen und arbeitete aushilfsweise als Briefträgerin. 1987 stellte sie selbst einen Ausreiseantrag. Beschwerdebriefe an die Regierungsstellen in der DDR, ein Brief an die westdeutsche Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und ein Protestschweigemarsch führten zu ihrer Verhaftung im März 1988. Verurteilt zu zwei Jahren und sechs Monaten wegen "landesverräterischer Nachrichtenübermittlung", verbüßte sie ihre Haftstrafe im Frauengefängnis Hoheneck. Erst am 17.November 1989 wurde sie in die Freiheit entlassen. Im Westen holte sie ihr Abitur nach und studierte Amerikanistik und Politikwissenschaft in Tübingen und Washington D.C.
Sehr beeindruckend hat Frau Schlicke ihre Gefühle und Wahrnehmungen bei der Verhaftung, bei den Verhören sowie im Gefängnisalltag den Jugendlichen vermitteln können. Unterlegt hat sie dies mit Auszügen aus ihrem Buch "Gefangen im Stasiknast. Tagebuch einer politischen Gefangenen im Frauenzuchthaus Hoheneck". Nach dem 60 minütigen Vortrag zeigte die anschließende Diskussionsrunde, wie sehr die Schülerinnen und Schüler von diesem Vortrag emotional betroffen waren. Im Fokus der Fragen stand vor allem die Verarbeitung der negativen Erfahrungen nach der Freilassung: wie schaffte es Birgit Schlicke in einer Demokratie zu leben frei von Angst vor Überwachung? Für Frau Schlicke war es ausschlaggebend, dass sie ihre Erfahrungen in einem Buch niedergeschrieben hat und weiterhin durch Zeitzeugenveranstaltungen ihre Erinnerung wach hält und jungen Menschen vermittelt.
Annette Kröhler